Bäng2000 war ein kritisches Online-Magazin für Leute mit Horizont. Zu verschiedenen Themenbereichen gaben die Autoren ihr Wissen und ihre Meinungen an interessierte Leser weiter. Leider ist das Magazin nicht mehr online. Einen wunderbaren Artikel zu Mauritius konnten wir retten.

Bei der Sega mit den Hüften wiegen

‚Smile‘ heißt einer der bunt mit tropischen Blüten dekorierten Cocktails im Strandhotel Maritim, die Jean-Paul mit einem liebenswürdigen Lächeln serviert, während die Gäste den goldroten Sonnenuntergang genießen.

Wohltuend ist für den Gast nicht nur die Freundlichkeit der Insulaner, sondern auch ihre Sprachgewandtheit. Unterhalten sie sich miteinander am liebsten in Creole, so ist doch ihre Amtsprache Englisch – übernommen von den Engländern, die sie erst 1968 in die Unabhängigkeit entließen. Als Erbe ihrer ersten Kolonialherren pflegen sie außerdem Französisch, und immer häufiger sogar etwas Deutsch, denn deutsche Gäste haben einen maßgeblichen Anteil am Touristenaufkommen, und Häuser unter deutscher Leitung sind gar nicht mehr selten.

Allerdings war die Insel durch ihre natürlichen Gegebenheiten als Urlaubsland prädestiniert. Meilenweite Sandstrände – durch Korallenriffe vor Wellen und Haien geschützt – säumen die Küsten; die Lage am Rande des Tropengürtels mit ihrem ständig wehenden Passat macht das Klima das ganze Jahr über angenehm, und das glasklare, warme Wasser des Indischen Ozeans lädt ein zu jeder Art von Wassersport.

Frühzeitig erkannten die Mauritianer ihre Chance. Bald nach der Unabhängigkeit, Anfang der siebziger Jahre, wurden die ersten Strandhotels eröffnet, damals schon als großzügige Ferienanlagen konzipiert. Ging man mit der Hotelentwicklung zunächst sehr behutsam um, kamen seit Ende der achtziger Jahre eine Vielzahl großer, schicker Strandhotelanlagen sowie Ferienwohnungen dazu.

Natürlich blieb dabei manch einsamer Strand auf der Strecke, und einst verträumte Fischerdörfer wie Grand Baie im Norden wurden zu Touristenzentren. Der damalige Hotelboom war nicht zum Nachteil des Urlaubers. Er hatte ein neues Konkurrenzdenken ausgelöst, man plante nicht nur größer, sondern auch komfortabler. Gehörte zu jedem Strandhotel schon immer ein gutes Freizeitangebot mit Flutlicht-Tennisplätzen, riesigen Süßwasserswimmingpools und gut bestücktem Bootshaus, so verweisen die Geschäftsführer heute stolz auf Spezialitätenrestaurants, klimatisierte Konferenzräume, Sauna- und Fitnessmöglichkeiten sowie auf hoteleigene Kindergärten, Golfanlagen, Spielcasinos und nicht zuletzt Hochseeangelyachten.

Hatte das Hochseeangeln seit jeher Tradition, wird für den Touristen immer mehr und immer Neues angeboten. Wem Faulenzen am Meer, eine Strandwanderung, das Tauchen oder Schnorcheln in der farbenfrohen Unterwasserwelt nicht ausreichen, der kann auf einem Katamaran oder Windsurfer durch die Lagune gleiten, einen Unterwasserspaziergang mit Taucherhelm unternehmen, auf einem Zweimastschoner Seefahrerromantik erleben oder an einem Paraglider durch die Lüfte schweben und das Ganze von oben betrachten.

Den Abend verbringt man schlemmend unter tropischem Sternenhimmel. Die Küchenchefs zaubern riesige Barbecues und Fischgrills, kreolische Spezialitäten, chinesische oder indische Buffets, und anschließend läuft noch bis spät in die Nacht ein Unterhaltungsprogramm ab. Mancher Gast ist bei dem Überangebot an Freizeitgestaltung kaum noch bereit, das Hotelgelände zu verlassen und sich für den Rest der Insel zu interessieren. Schade, hat doch das kleine Land eine Menge mehr zu bieten.

Hier, wo im Laufe des letzten Jahrhunderts die Kulturen dreier Kontinente zusammenflossen, entstand ein faszinierendes Völkergemisch, das europäische, afrikanische, indische und chinesische Einflüsse vereint. Schon lange geben die Mauritianer ein Beispiel, wie Menschen verschiedener Herkunft in Harmonie zusammen leben können. Gemeinsam begehen sie alle anfallenden religiösen Feiertage. Wer zum richtigen Zeitpunkt im Lande ist, kann miterleben, wie auch Hindus auf die Wallfahrt zum katholischen Heiligen Père Laval pilgern, Christen zusammen mit Tamilen beim Cavadee-Fest über glühende Kohlen laufen oder wie die Mauritianer gemeinsam das Chinesische Neujahrsfest begehen. Von der multikulturellen Gesellschaft zeugen auch die Gotteshäuser; einträchtig stehen Kirchen, Pagoden mit anmutig geschwungenen Dächern, schlicht-weiße Hindu-, farbenfrohe Tamilentempel und minarettverzierte Moscheen beieinander.

Sehenswert sind die überaus bunten Märkte, wo sich tropische Früchte wie Litschis, Mangos und Papayas zu Hauf türmen und aromatische Gewürze intensive Düfte verbreiten. Der größte und schillernste der Insel befindet sich in Port Louis und heißt zu Recht ‚Bazar‘. Er ist nicht mehr wegzudenken aus dem Herzen der Haupt- und Hafenstadt, in der schöne, alte Holzhäuser noch immer etwas vom kolonialen Glanz vergangener Jahrhunderte ausstrahlen, jedoch zusehends zwischen modernen Hochhäusern verschwinden.

Der letzte unbebaute Platz in der zwischen Meer und Bergen eingeklemmten Stadt ist der Champ de Mars, der zweitälteste Turf-Club der Welt, trotz seines französischen Namens ein Erbe der Engländer. Was hier an jedem Wochenende zwischen Mai und Oktober stattfindet, ähnelt weitaus mehr einem Volksfest als einem Pferderennen, obwohl es dabei um ebensoviel Ehre wie Geld geht. Unglaubliche Menschenmassen drängen sich zwischen Essensbuden, Trinkständen, Jahrmarktspielen und vor allem an den Buchmacherhäuschen. Sobald ein neues Rennen eingeläutet wird, entsteht eine Spannung, von welcher sogar der unbeteiligte Fremde mitgerissen wird.

Wer gerne Tiere in freier Wildbahn beobachten möchte, besucht das Naturschutzgebiet des Machabee Forest im bergigen Süden der Insel, in dem heute Affen, Hirsche, Wildschweine und Mungos vorkommen. In dem zehn Quadratkilometer messenden, dichtbewaldeten Areal mit seinen Wasserfällen und Ebenholzbäumen kann man sich ein Bild davon machen, wie paradiesisch die Insel vor sich hinschlummerte, ehe die ersten Europäer an Land kamen. Zu jener Zeit lebten hier Abertausende von Riesenlandschildkröten. In dieser Welt ohne Feinde konnte es sich sogar ein Vogel – wie der dicke, endemische Dodo – leisten, aufs Fliegen zu verzichten und auf kurzen Beinen sorglos durch den Urwald zu watscheln. Das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Denn die im 17. Jahrhundert hier siedelnden Holländer rodeten die riesigen Ebenholzwälder ab, um sie für teures Geld nach Europa zu verschiffen, und legten dafür Zuckerrohrplantagen an. Die leicht zu fangenden Dodos und Riesenlandschildkröten wanderten in die Kochtöpfe und waren bald ausgerottet.

Die Franzosen nahmen 1715 die Insel in Besitz und brachten zum Bestellen der Zuckerrohrfelder Sklaven auf die Insel. Obwohl seit der erfolgreichen Invasion von 1810 die Engländer Herren im Lande geworden waren, blieb doch der französische Einfluss bis heute dominant. Heute sind mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung indischen Ursprungs, obwohl Inder erst ab 1835 als Gastarbeiter ins Land kamen. Denn ab der Zeit der Sklavenbefreiung weigerten sich die meisten Afrikaner weiter für die weißen Herren zu arbeiten. So übernahmen die Inder die harte Arbeit in den Zuckerrohrplantagen, welche – neben den Bergen – noch immer das Landschaftsbild der Insel bestimmen.

Keine Zuckerrohrfelder findet man auf der zu Mauritius gehörenden Insel Rodrigues, die – hauptsächlich von Kreolen bewohnt – 560 km weiter östlich einsam im Indischen Ozean liegt und bisher ein Aschenputteldasein führte. Ihre eher kahle Hügellandschaft ist von bewaldeten Flusstälern durchzogen, ihre Küsten sind von einem Kranz kleiner Eilande und grünschimmernder Lagunen malerisch eingerahmt.

Täglich verkehren Flugzeuge zwischen Mauritius und Rodrigues, doch auch die traditionelle, gemächliche Überfahrt (inzwischen auf der in Deutschland gebauten, modernen ‚Mauritius Pride‘) hat ihren Reiz. In früheren Zeiten war die Ankunft eines Schiffes das Insel-Ereignis schlechthin. Aber auch heute noch ist halb Rodrigues auf den Beinen, wenn der ‚Stolz von Mauritius‘ im Hafen von Port Mathurin einläuft – einem Ort, der weniger einer Metropole als einem ausgewachsenen Dorf ähnelt. Wenn Fremde kommen, öffnen in Windeseile die sonst vor sich hindämmernden Souvenirläden, die wenigen kleinen Restaurants und Hafenbars ihre Pforten.

Zwei Strandhotels und eine Reihe Gästehäuser gibt es inzwischen auf Rodrigues. Die organisierte Gästebetreuung jedoch ist noch wohltuend gering: Wanderungen über die Insel, eine Führung durch eine der Tropfsteinhöhlen, Bootsausflüge zu vorgelagerten Inselchen wie dem Vogelreservat Ile Cocos sowie Hochseeangeltrips und Tauchexkursionen in bisher noch unerforschte Unterwasserregionen. Auch an den Abenden werden keine großartigen Shows geboten, dafür tritt ab und zu eine Segakapelle in traditioneller Besetzung auf – mit den alten afrikanischen Instrumenten, so wie sie auch vor hundert Jahren üblich waren. Beim Tanz zu den ursprünglichen Sega-Rythmen bezieht man gerne die Gäste mit ein, die dabei von anmutigen Kreolinnen das richtige Schwingen der Hüften lernen können.