Uwe Jan­ßen ist Stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur von Euro­pas größ­tem Segel­ma­ga­zin, der YACHT wo in die­ser wun­der­ba­re Bericht über das Segeln vor Mau­ri­ti­us ver­öf­fent­licht wurde.

Auf­ge­wach­sen an der Nord­see­küs­te, ist er von Kin­des­bei­nen an mit dem Segeln ver­traut. Jan­ßens jour­na­lis­ti­sche Lauf­bahn begann mit einem Volon­ta­ri­at beim Deut­schen Sport­ver­lag in Köln, ehe es den stu­dier­ten Wirt­schafts­in­ge­nieur wie­der in den Nor­den zog. Vier Jah­re lang war Jan­ßen Redak­teur des Gruner+Jahr-Magazins “Sports”, anschlie­ßend unter ande­rem Res­sort­lei­ter bei “Fit for fun” und Mit­glied der Ent­wick­lungs­re­dak­ti­on für das Nach­rich­ten­ma­ga­zin “Ergo” im Bau­er-Ver­lag. Außer­dem arbei­te­te Jan­ßen als frei­er Autor für Maga­zi­ne (u. a. “Stern”, “Play­boy”) und Tages­zei­tun­gen (“u. a. “Welt”, “die tages­zei­tung”, “Ham­bur­ger Abend­blatt”) und ver­fass­te diver­se Sport­bü­cher. 1999 mach­te Jan­ßen schließ­lich bei der YACHT fest.

Mau­ri­ti­us Törn” von Uwe Janßen

D7102 arbei­tet nicht. Gil­bert, der Skip­per, hebt gelas­sen die Schul­tern: „Sind wohl mal wie­der die Bat­te­rien leer“, sagt er erge­ben. Macht ja nichts. D7102 ist schließ­lich nur ein inter­na­tio­na­les See­zei­chen. Von wegen Fl (4) 30 s, wie’s in der Kar­te steht: Den Leucht­turm auf der Ile Pla­te umgibt abso­lu­te Schwärze.

Na und? Voll­kom­men egal. Mau­ri­ti­us ist ver­mut­lich die ein­zi­ge Insel der Welt, deren Ein­woh­ner kei­ner­lei Bezug zur See­fahrt haben. Es geht der Spruch, dass man Mau­ri­tier in einer Men­schen­men­ge am Strand unschwer dar­an erkennt, dass nur sie nicht aufs Meer schau­en, son­dern ins Hin­ter­land. Da ist was dran.

Bei der Ein­rei­se ent­spinnt sich mit dem Beam­ten von der Immi­gra­ti­on fol­gen­der Dialog:

Was ist der Grund Ihres Besuchs?“

Segeln.“

In wel­chem Hotel?“

Mit einem Schiff.“

Und wo wer­den Sie wohnen?“

Auf dem Boot.“

Ja, aber wie lau­tet Ihre Adresse?“

Ich bin auf dem Boot.“

Und abends?“

Blei­be ich auf dem Boot.“

Aber wo schla­fen Sie?“

An Bord.“

Nach einer gan­zen Wei­le sol­chen Geplän­kels blickt der gute Mann resi­gniert auf und drückt schließ­lich, immer noch ver­ständ­nis­los, sei­nen Stem­pel aufs For­mu­lar. Das Gespräch wie­der­holt sich in ähn­li­cher Form mit ande­ren Insu­la­nern. Fahr­ten­se­geln ist in Mau­ri­ti­us so popu­lär wie Muschel­tau­chen im Dümmer.

Rai­ner Hauck kann davon ein Lied sin­gen. Der Frank­fur­ter über­führ­te sei­ne 36-Fuß-Stahls­lup in sie­ben Mona­ten vom IJs­sel­meer hier­her. Lei­der nicht ganz schnell genug. Der Hafen der Haupt­stadt Port Lou­is, der ein­zi­ge der Insel, hat nur von 8 bis 18 Uhr geöff­net. Hauck, von sei­ner Fami­lie bereits am Kai erwar­tet, erschien um 18.10 Uhr. Er muss­te wie­der abdre­hen und wei­te­re 13 Stun­den und 50 Minu­ten auf See zubringen.

In die­sem Kli­ma seg­le­ri­scher Igno­ranz ver­die­nen die zuwei­len an Qui­chot­te­rie erin­nern­den Bemü­hun­gen von Jean-Fran­çois Riviè­re Höchstach­tung. Der 49-Jäh­ri­ge, ein umwer­fend sym­pa­thi­scher Mensch, betreibt im äußers­ten Nor­den das Char­ter­un­ter­neh­men Ter­res Océ­a­nes, unweit vom Cap Mal­heu­reux, dem Kap des Unheils. Seit zwei Jah­ren besitzt er die­ses Mono­pol – und exakt so lan­ge dau­ert sein Kampf um einen schlich­ten Steg. „Neun Minis­te­ri­en“, sagt Riviè­re, wol­len gefragt wer­den. In dem Geflecht aus Unwis­sen­heit und Büro­kra­tie ver­si­cker­te bis­lang jeder Ver­such, die Geneh­mi­gung für die Instal­la­ti­on von ein paar Holz­pfäh­len zu bekom­men. So wer­den Gäs­te, Gerät und Gepäck auf die rus­ti­ka­le Tour ein­ge­schifft: mit dem Din­gi vom Strand aus.

Die Törn­pla­nung gestal­tet sich über­aus ein­fach. Mau­ri­ti­us ist nahe­zu lücken­los umschlos­sen von einem Koral­len­riff. Des­halb besteht an der etwa 160 Kilo­me­ter lan­gen Küs­te kaum Zugang zu siche­ren Anker­plät­zen. Kei­ne Mög­lich­keit im Süden, nur zwei im Osten: in Trou d’Eau Douce – mit einer über­aus kniff­li­gen Pas­sa­ge – und in der gigan­ti­schen Lagu­ne vor der ehe­ma­li­gen Insel­haupt­stadt Mahé­bourg. Dort indes herrscht immer auf­lan­di­ger Wind, Näch­te vor Anker schei­nen nur bedingt ange­ra­ten. Außer­dem setzt auf dem Weg dahin, an Nord- und Süd­küs­te, bis zu 5 Kno­ten Strom, die wol­len erst mal tot­ge­se­gelt werden.

Län­ge­re See­schlä­ge sind eben­falls nicht drin. Die nächs­ten Inseln Réuni­on und Mada­gas­kar lie­gen knapp 100 bezie­hungs­wei­se 430 Mei­len im Wes­ten, das wild­ro­man­ti­sche Rodri­gues, Mau­ri­ti­us’ klei­ne Schwes­ter, gut 300 Mei­len ost­wärts. Ein Weg wäre immer gegen­an, und das, mit einem Kata­ma­ran zumal, kann sich nur erlau­ben, wer über sehr viel Zeit ver­fügt. Bleibt Buch­ten-Hop­ping im Westen.

Da es für die­se mari­ti­me Dia­spo­ra weder spe­zi­el­le Hand­bü­cher noch Detail­kar­ten gibt, muss der ein­zi­ge Über­seg­ler genü­gen. Eben­so gut könn­te man mit einem Glo­bus navi­gie­ren. Schon des­we­gen macht es Sinn, dass mit Gil­bert und Vin­cent zwei inti­me Revier­ken­ner die Schiffs­füh­rung über­neh­men. Sou­ve­rän manö­vrie­ren sie an der win­zi­gen Stan­ge vor­bei, die die Pas­sa­ge im Riff mehr schlecht als recht mar­kiert. Unkun­di­ge müs­sen sich an Tief­blau, Aqua­ma­rin und Tür­kis ori­en­tie­ren und anhand der Was­ser­far­be hindurchtasten.

Mit 6, zeit­wei­se 7 Beau­fort reißt der Nord­ost die Gischt von den Wel­len, die über dem Riff bre­chen. Ach ja, die gewohn­te Wet­ter­vor­her­sa­ge gibt es hier erwar­tungs­ge­mäß eben­falls nicht. Ist auch nicht nötig. Zwi­schen Mai und Okto­ber domi­niert ver­läss­lich der Süd­ost­pas­sat. Übers rest­li­che Jahr bläst es häu­fig mal aus dem ers­ten Qua­dran­ten, aller­dings meist nicht so stark wie jetzt.

In Rauschefahrt schießt der Kat bei ablan­di­gem Wind Rich­tung Süden. Das Land in Luv bewirkt star­ke Dre­her, ohne dass sie ernst­haft Pro­ble­me berei­ten. Nach 16 Mei­len ist Port Lou­is erreicht.

2001 ent­stand in der Haupt­stadt so etwas wie eine „Mari­na“. Nir­gends sonst gibt es eine Pier mit Strom und Was­ser. Und tat­säch­lich lie­gen ein knap­pes Dut­zend Welt­um­seg­ler aus aller Her­ren Län­der vor dem moder­nen Kom­plex namens Cau­dan Water­front. Es ist der ein­zi­ge Ort, der sich für Mono­hulls eig­net. Wäh­rend die Was­ser­tie­fe schon knapp eine Mei­le vor der Küs­te bei über 1000 Meter liegt, lässt sich die Lagu­ne inner­halb des Riff­gür­tels nur mit flach gehen­den Kata­ma­ra­nen befah­ren. Der Man­gel an Mög­lich­kei­ten ist sicher ein Grund, dass es auf Mau­ri­ti­us nur 40 bis 50 Segel­yach­ten gibt, die fast aus­nahms­los für Hotels und Tou­ren­an­bie­ter in Tages­char­ter lau­fen. Pri­va­tes Fahr­ten­se­geln ist auf dem Tro­pen-Eiland ver­brei­tet wie Faserpelz.

Von den weni­gen Yacht­eig­nern pilo­tie­ren beruf­lich nahe­zu alle einen Jet der Air Mau­ri­ti­us. Sie kön­nen es sich leis­ten. Der Spaß, dar­in liegt eine wei­te­re Ursa­che, kommt von Staats wegen der­art teu­er, dass sich der Herr Eichel gegen sei­nen ansäs­si­gen Kol­le­gen aus­nimmt wie ein barm­her­zi­ger Sama­ri­ter. So muss­te Rai­ner Hauck das Schiff, mit dem er aus Euro­pa kam, um sich mit sei­ner mau­ri­ti­schen Gat­tin in deren Hei­mat anzu­sie­deln, bin­nen vier Wochen ins Aus­land ver­kau­fen. Ansons­ten wären Steu­ern fäl­lig gewor­den – 85 Prozent.

Gegen Abend legt sich abso­lu­te Ruhe über Port Lou­is. Der tags pul­sie­ren­de 140000-Ein­woh­ner-Ort wird schlag­ar­tig zur Geis­ter­stadt. In der Tat ver­fügt Mau­ri­ti­us außer­halb der Hotels über kei­ner­lei nen­nens­wer­tes Nacht­le­ben, nicht ein­mal die Kapi­ta­le. Der Tag beginnt früh – durch­aus üblich, dass Gäs­te um 6 Uhr mor­gens vom unab­läs­si­gen Krach eines Rasen­trim­mers geweckt wer­den –, und er endet auch früh. Kurz nach 16 Uhr schlie­ßen die Geschäf­te. Als es nach dem vor­züg­li­chen Mahl im „Le Capi­taine“ am Hafen noch auf die Pis­te gehen soll, wirkt das Skip­per-Duo zum ers­ten Mal hilf­los. „Lasst uns lie­ber mor­gen früh auf dem Markt herumstöbern.“

Nun gut. Zum nächs­ten Ziel sind es eh wie­der nur 17 Mei­len, da genügt ent­spann­tes Los­se­geln am Nach­mit­tag. Um zuvor “200 Jah­re Zeit­sprung in 200 Metern“ zu erle­ben, wie die „Finan­cial Times Deutsch­land“ das formuliert.

Abge­se­hen davon, dass der Preis iden­ti­scher Pro­duk­te, etwa bei Sou­ve­nirs, CDs und Beklei­dung, auf die­ser Distanz zwi­schen ufer­na­her Kom­merz­mei­le und archai­schem Markt um schät­zungs­wei­se 70 Pro­zent sinkt: Der Besu­cher schrei­tet tat­säch­lich in eine ver­gan­ge­ne Epo­che. Händ­ler bie­ten wie ehe­dem an grob zusam­men­ge­zim­mer­ten Stän­den kunst­voll gesta­pel­te Tro­pen­früch­te und Gemü­se feil. Fisch, Fleisch und Geflü­gel wer­den wie vor Erfin­dung der Lebens­mit­tel­hy­gie­ne von schmud­de­li­gen Stein­ti­schen ver­kauft. Und neben­an prei­sen Homöo­pa­then, gleich­sam in vor­sint­flut­li­chen Apo­the­ken, die Wir­kung ihrer Kräu­ter gegen Zip­per­lein aller Art – von Dia­be­tes bis Libi­do­schwä­che. Nichts, was es in dem Gewu­sel nicht irgend­wo gibt.

Nach abschlie­ßen­dem Begut­ach­ten der berühm­tes­ten Her­vor­brin­gung der Insel, der Blau­en Mau­ri­ti­us, geht’s wie­der auf See. Vor­bei an der Flot­te der rot­ten japa­ni­schen Fisch­traw­ler, alle­samt Kopien von B. Tra­vens „Toten­schiff“, deren gro­ßes Geheim­nis bleibt, wie ihnen die Phy­sik zu schwim­men gestat­tet. Und vor­bei am Con­tai­ner­ter­mi­nal, wo die Oze­an­rie­sen gelöscht wer­den. Ohne ihre Fracht, ohne Impor­te, wäre die Insel nicht, was sie ist.

Mau­ri­ti­us’ erle­se­ne Kund­schaft ver­langt vie­les, was das Land nicht hat. Neben dem Zucker­rohr, das 90 Pro­zent der vor­mals bewal­de­ten, heu­te land­wirt­schaft­lich genutz­ten Flä­che bean­sprucht – wodurch es, so „Die Zeit“, vor allem in der Nord­hälf­te mitt­ler­wei­le „genau so öde aus­sieht wie im flur­be­rei­nig­ten Nie­der­bay­ern: Mono­kul­tur, so weit das Auge reicht“ –, dane­ben also ist der Tou­ris­mus zum wich­tigs­ten Wirt­schafts­zweig avan­ciert. Im ver­gan­ge­nen Jahr kamen 682000 Besu­cher. Das ist Rekord und weit mehr als die Hälf­te der Einwohnerzahl.

Wir reden dabei nicht von Hor­den jener meist ger­ma­ni­schen und angel­säch­si­schen Zeit­ge­nos­sen, die fern der Hei­mat laut­stark zur Schau stel­len, was sie für Niveau hal­ten – Char­ter­flie­ger dür­fen hier fast gar nicht lan­den. Wir reden von Herr­schaf­ten mit hin­rei­chen­der Liqui­di­tät. Und wir reden von Welt­stars, von Extrem­lu­xus, von vier Ster­nen min­des­tens. Von einer Eli­te, die sich, erwar­tet von per­sön­li­chen But­lern, gern die maxi­mal ein­stün­di­ge Auto­fahrt vom Flug­ha­fen ins ent­le­gens­te Refu­gi­um spart und statt­des­sen den Hub­schrau­ber-Shut­tle wählt.

Tip­pen Sie im „Who’s who“ auf irgend­ei­nen Namen – mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit erwi­schen Sie einen Mau­ri­ti­us-Fan. Bryan Fer­ry, Ornella Muti und Jean-Paul Bel­mon­do zäh­len dazu wie Eric Clap­ton, Ste­pha­nie von Mona­co, Clau­dia Schif­fer, Boris Becker, Sil­vio Ber­lus­co­ni, Jac­ques Chi­rac und so fort. Köni­ge sind Kun­den, selbst­ver­ständ­lich. Auch der nach 48 Sie­gen in Serie ent­thron­te Box-Welt­meis­ter Dari­usz Mich­al­c­zew­ski ließ sich unlängst hier sei­ne Wun­den lecken. Und For­mel-1-Rekord­cham­pi­on Micha­el Schu­ma­cher begab sich gar mit einem Ter­res-Océ­a­nes-Kat auf Tagestörn.

Mario Adorf kommt regel­mä­ßig seit 20 Jah­ren. Der Grand­sei­gneur der Film­bran­che beschreibt sein ers­tes Erleb­nis so: „Es war wie ein Heim­kom­men an einen Ort, an den man sich genau erin­nert – ohne jemals dort gewe­sen zu sein. Ein magi­scher Ort.“

Der Zau­ber hat die Insel ver­wan­delt. Die 1896 geäu­ßer­te Ver­mu­tung des Schrift­stel­lers Mark Twa­in, Mau­ri­ti­us habe Gott als Vor­bild für sei­nen Gar­ten Eden gedient, lässt sich heu­te kaum nach­voll­zie­hen. Mas­sen­un­ter­künf­te de Luxe okku­pie­ren nahe­zu sämt­li­che para­die­si­schen Strän­de. „Sehen Sie“, ent­geg­net Char­ter-Pio­nier Riviè­re auf ent­spre­chen­de Kri­tik, „die Strän­de sind unser ein­zi­ges Kapi­tal. Wir sind ein klei­nes, selbst­stän­di­ges Land fast ohne jede Indus­trie und Boden­schät­ze. Woher sonst sol­len Arbeits­plät­ze kom­men? Wir haben gar kei­ne ande­re Chan­ce.“ Die­ses Argu­ment, wir ken­nen das, erstickt jedes noch so gute.

Immer­hin ver­spricht das nächs­te Ziel, die Bucht bei Gran­de Riviè­re Noi­re, noch unbe­rühr­te Natur. Der Wind ist auf sei­nen Nor­mal­wert abge­flaut. 4 bis 5 Beau­fort, per­fekt. Über Kanal 6 mel­det die Basis Schieß­übun­gen beim Leucht­turm Poin­te aux Caves. Schon vor Errei­chen von D7096 jedoch düst die Coast Guard her­bei und ver­langt, den Bereich weit see­wärts zu umfah­ren. Offi­zi­el­le War­nun­gen, via Kanal 16 etwa, blei­ben man­gels Adres­sa­ten aus.

Vor der mit 828 Metern höchs­ten Erhe­bung, bizarr geformt wie die ande­ren Vul­kan­ber­ge, gräbt sich der Anker in den Sand. Der ist nicht koral­len­weiß, wie über­all sonst, son­dern dun­kel. Rund­um schwoi­en Angel­boo­te an ihren Murings – Mau­ri­ti­us ist berühmt für sei­ne Groß­fisch-Grün­de. Das, übri­gens, gibt’s bei die­sem Törn gra­tis. Stän­dig wird ein Köder nach­ge­schleppt, und tat­säch­lich ging auf einer ande­ren Ter­res-Océ­a­nes-Yacht heu­te ein 80-Pfund-Thun an den Haken.

Das ist der unschlag­ba­re Vor­teil die­ser Art, die Insel zu erle­ben: Wie Big Game Fishing lässt sich alles, was vom schicks­ten Hotel aus unter­nom­men wer­den kann, noch sehr viel bes­ser vom Kata­ma­ran aus erle­di­gen. Die­ser Törn ist kei­ne Ent­schei­dung fürs Segeln, er ist eine Ent­schei­dung für Mau­ri­ti­us. Für eine Rei­se, die sich Nicht­mit­glie­der der High Socie­ty übli­cher­wei­se nur ein­mal im Leben gön­nen. Und die sind auf der Yacht defi­ni­tiv bes­ser auf­ge­ho­ben als an Land.

Zum einen sorgt die beflis­se­ne Crew, exzel­len­te Köche zudem, auch an Bord für lan­des­üb­li­chen Maxi­mal-Kom­fort. Der ent­wöhn­te Deut­sche wird auf Mau­ri­ti­us stän­dig erin­nert, dass sich Dienst­leis­tung zusam­men­setzt aus Dienst und Leis­tung. Schon unge­wohnt und den bei­den nicht recht bei­zu­bie­gen, dass Segeln andern­orts als Team­work ver­stan­den wird. Wenn sich jemand selbst ein Brot schmiert, schä­men sie sich fast, das Bedürf­nis des Anver­trau­ten nicht recht­zei­tig erkannt zu haben.

Des Wei­te­ren kommt ein Yacht-Urlaub mit meh­re­ren Per­so­nen oft güns­ti­ger als in einem der Edel-Eta­blis­se­ments. Und da die Insel nur halb so groß ist wie Mal­lor­ca – bei dop­pelt so vie­len Bewoh­nern (und einer mehr als zwei­ein­halb­mal grö­ße­ren Bevöl­ke­rungs­dich­te als in Deutsch­land) –, lässt sich, mit­hil­fe der rüh­ri­gen Basis, von einem belie­bi­gen Anker­platz aus jede Attrak­ti­on errei­chen und jede Akti­on organisieren.

Eine See­ka­jak-Tour zum Bei­spiel. Patrick Haber­land, Exper­te für Out­door-Akti­vi­tä­ten aller Art, erscheint am nächs­ten Mor­gen mit einem Trai­ler vol­ler Boo­te am Strand. Auf ein paar Hand­breit Was­ser pad­delt die Crew in psy­che­de­li­schem Tür­kis einen wahr­haf­tig noch natur­be­las­se­nen Strand ent­lang. „Nächs­tes Jahr“, sagt Haber­land, „kom­men hier vier Hotels hin.“

Gewöhn­lich hält sich in der Rin­ne zur Baie de la Peti­te Riviè­re Noi­re eine Schu­le Del­fi­ne auf, die dann um die Boo­te spie­len. Heu­te nicht. Dafür sprin­gen auf dem Weg zur noch unbe­wohn­ten Ile aux Béni­tiers, in Zukunft eben­falls um ein Rund­um-sorg­los-Resort berei­chert, unzäh­li­ge Meer­äschen um die Besu­cher her­um, im seich­ten Was­ser schlän­geln sich Tigermuränen.

Unbe­wohnt heißt nicht men­schen­leer. Flach gehen­de Aus­flugs­boo­te brin­gen ein paar Tou­ris­ten, und ein Händ­ler tin­gelt mit einem aben­teu­er­li­chen Was­ser­ge­fährt her­um, um wort­ge­wandt far­ben­präch­ti­ge Muscheln und Schne­cken­ge­häu­se an die Frem­den zu brin­gen. Ein Exem­plar mit gro­tesk wuls­ti­gem Mün­dungs­rand bewirbt er mit der tref­fen­den, hier angeb­lich gän­gi­gen Meta­pher „Der Mund von Mick Jagger“.

Der Weg zurück in den Nor­den ist mit 25 Mei­len der längst­mög­li­che. Bei 8 bis 9 Kno­ten Fahrt aller­dings auch kein gro­ßer Akt. An der Küs­te rei­hen sich, archi­tek­to­nisch zwar um Inte­gra­ti­on und Dezenz bemüht, die Her­bergs­zen­tren der Flieg&Spa-Gemeinde. An Bord errech­net jemand über­schlä­gig eine Dich­te von knapp einem Hil­ton-Radis­son-Mari­tim pro Kilometer.

Grand Baie ist ein unty­pisch tru­beli­ger Ort, mit zahl­lo­sen Dis­cos und Geschäf­ten und Bars und Restau­rants. Und so etwas wie die Heim­statt des mau­ri­ti­schen Yacht­sports. Einst wur­den hier Regat­ten ins süd­afri­ka­ni­sche Dur­ban gestar­tet, und auch die jähr­li­che Wett­fahrt um die Insel beginnt und endet hier, am Sitz der Mau­ri­ti­us Yacht­ing Asso­cia­ti­on. Der 90 Mit­glie­der zäh­len­de Seg­ler-Ver­band wur­de 1990 gegrün­det, düm­pel­te indes bis zum Jahr 2000 in völ­li­ger Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Erst die Vor­be­rei­tung auf die Jeux des Iles de L’Océan Indi­en im Sep­tem­ber 2003 – eine Art Mini-Olym­pia – hauch­te der sie­chen Ver­ei­ni­gung Leben ein. Mau­ri­ti­us gewann drei von sechs Gold­me­dail­len im Segeln. Und mit dem übrig geblie­be­nen Mate­ri­al grün­de­te der Grand Baie Yacht Club vor weni­gen Wochen eine öffent­li­che Segelschule.

Die­ser Ver­ein ver­dient als ein­zi­ger der vier mau­ri­ti­schen die Bezeich­nung Yacht­club, wenn­gleich der Schwer­punkt sei­ner Akti­vi­tä­ten eher im Sozia­len liegt. Er ver­fügt sogar über eine Slip­an­la­ge und über einen Steg mit der ein­zi­gen Bun­ker­sta­ti­on weit und breit. Auf dem Gelän­de rich­tet Rai­ner Hauck gera­de sei­ne Holz­ketsch „Con­dor“ her. Sie war 2002 im Zyklon „Dina“ gesun­ken, dem stärks­ten seit zwan­zig Jah­ren. Der zuvor vom Fis­kus qua­si zwangs­ent­eig­ne­te Aus­wan­de­rer hat das Wrack zum Schnäpp­chen­preis erstanden.

Am Mor­gen schallt von irgend­wo­her die Stim­me eines Muez­zin, dazu wabert Musik aus einem Hin­du-Tem­pel über die prall gefüll­te Anker­bucht. Das, neben­bei, ist ein wei­te­res Cha­rak­te­ris­ti­kum der Insel: 87 Reli­gio­nen und Glau­bens­rich­tun­gen exis­tie­ren in fried­li­cher Ein­tracht. Kir­chen, Tem­pel und Moscheen lie­gen in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft, ohne dass es zu Rei­be­rei­en oder lei­di­gen Kopf­tuch-Dis­kus­sio­nen käme. Tole­ranz kenn­zeich­net die­sen Schmelz­tie­gel der Kul­tu­ren. Und Freund­lich­keit. Im Land des Dau­er­lä­chelns tum­meln sich – aber­mals „Die Zeit“ – „so vie­le Gut­men­schen, wie man sie nor­ma­ler­wei­se nur auf evan­ge­li­schen Kir­chen­ta­gen trifft“. Die Kri­mi­na­li­täts­ra­te liegt ent­spre­chend nied­rig, obschon die auf­fäl­li­ge Zahl fast all­ge­gen­wär­ti­gen Sicher­heits­per­so­nals einen ande­ren Ver­dacht nährt.

Neun Mei­len nörd­lich erreicht die Rei­se zum Fina­le ihren Höhe­punkt. Wäre gar kein Pro­blem, in der fla­chen Lagu­ne zwi­schen den vor­ge­la­ger­ten Inseln Ilot Gabri­el und Ile Pla­te, der ehe­ma­li­gen Qua­ran­tä­ne-Sta­ti­on, Wochen zu ver­brin­gen. Genau das müs­sen Mark Twa­in und die ande­ren Schwär­mer gemeint haben.

Wäh­rend des Ein­lau­fens durch die extrem schma­le und fla­che Pas­sa­ge im Riff fin­det am Strand ein Foto-Shoo­ting statt. Vor hin­rei­ßen­der Kulis­se. Über den schwar­zen Lava-Klip­pen krei­sen wei­ße Pail­le-en-queu­es, Weiß­schwanz-Tro­p­ik­vö­gel, die Natio­nal­tie­re. Schwär­me neu­gie­ri­ger, schil­lernd bun­ter Fische nähern sich Schnorch­lern auf Mil­li­me­ter – Welt­klas­se. Gil­bert und Vin­cent fan­gen eini­ge brauch­ba­re Exem­pla­re mit der Hand. Und holen näch­tens noch eine anstän­di­ge Por­ti­on Tin­ten­fisch aus dem Meer.

Über­haupt, die Nacht. Ein Pri­vi­leg, sie hier erle­ben zu dür­fen, exklu­si­ver als das hoch­no­bels­te Hotel. Nach­dem die Tages­char­ter-Arma­da wie­der nach Grand Baie abge­rauscht ist, kehrt Ruhe ein. Ein­sam­keit, Natur, Frie­den – eine sel­te­ne Wohl­tat. Und in welch exqui­si­tem Sze­na­rio: Unge­stört vom Fl (4) 30 s bescheint der Mond den weiß-bläu­lich glim­men­den Koral­len­strand und leuch­tet durch kris­tall­kla­res Was­ser den Mee­res­grund aus. Das Schiff liegt ruhig und geschützt, wäh­rend sich die Wel­len eine Kabel­län­ge wei­ter mit fluo­res­zie­ren­der Gischt don­nernd über dem Riff brechen.

Der Blick auf Mau­ri­ti­us, oben­drein, mutet aus ein­ma­li­ger Per­spek­ti­ve majes­tä­tisch und erha­ben an. Ent­fernt, ganz hin­ten an der Kimm, schim­mern fahl die Lich­ter der Küste.