Mauritius gilt als Perle des Indischen Ozeans. Kein Wunder, dass die Insel von Zugereisten wimmelt, die sich auf Dauer niederlassen wollen. Doch nur wenigen gelingt es, mehr als einige Jahre zu bleiben – und mancher verlässt das Paradies fluchtartig wieder. Mit dem Kommen und Gehen auf Mauritius beschäftigt sich Antje Allroggen.

Paradies zur Zwischenmiete
Kommen und Gehen auf Mauritius
Von Antje Allroggen

Als weit Gereister wusste Mark Twain, was er sagte, als er Mauritius in einem seiner Reiseberichte als das Paradies auf Erden beschrieb. Der Himmel könne nur eine Kopie dieser Vulkaninsel sein. Es ist also seinem Besuch auf Mauritius im Jahr 1896 zu verdanken, dass jeder, der seinen Fuß auf diese Insel setzt, meint, die ehemalige Ile de France bereits zu kennen. Wohl deshalb war die Begegnung mit Mauritius für Sandra Isabelle eine Liebe auf den ersten Blick: Sie sah die Insel, schloss sie in ihr Herz – und blieb ihr treu. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrer siebenjährigen Tochter Zoe in Grand Baie, im Norden der Insel gelegen.

„Ich kenne Mauritius ja schon seit zehn Jahren. Ich war dazwischen immer schon im Urlaub hier. So ist es nicht ganz neu, aber ein Leben hier ist natürlich anders. Man lebt sich natürlich ein, man passt sich an, aber ich möchte nicht mehr zurück. Ich finde das Leben entspannter. Dass die Leute freundlicher sind, hilfsbereiter. Ich finde es angenehmer, hier zu leben.“

Als die Deutsche aus Oberhausen mit ihrer Tochter vor drei Jahren hierher zog, war ihr Haus von nichts als Zuckerrohrfeldern umgeben. Von ihrer blau gestrichenen Terrasse im ersten Stock aus sieht man zwar nicht das Wasser, dafür ein wahres Meer an Sternen am Himmel. Nun ziert ein großes Schild die Einfahrt, die auch auf ihr Grundstück führt. Darauf wirbt ein Investor für den Kauf von Reihenhäusern, die direkt gegenüber von Sandras Grundstück gebaut werden. Die ersten Maschinen rollen nun schon über die Felder. Jeden Tag fährt Sandra an dem Werbeplakat für die Häuser vorbei. „Vivre votre reve“ steht darauf, leben Sie Ihren Traum. Sie selber scheint diesen Traum auch weniger luxuriös schon zu leben.

„Ich fühl mich hier eigentlich heimischer als in Deutschland, obwohl ich da geboren bin. Aber das hat ja nichts damit zu tun, wo man geboren ist, sondern wo man sich einfach wohlfühlt.“

„Für mein Empfinden leb ich jetzt auf der schöneren Insel mit netten Leuten, schönem Umfeld, Strand, Sonne.“

Seitdem Sandra Isabelle gemeinsam mit Zoe ihrer Geburtsstadt Oberhausen 2009 den Rücken gekehrt hat, war sie nie wieder dort. Zoe besucht einmal im Jahr ihre Großeltern in Deutschland. Den langen Flug von Mauritius bis nach Frankfurt bewältigt sie inzwischen schon ganz alleine.

„Heimat ist dort, wo man weg will“, steht auf einer Postkarte, die mir vor einigen Wochen in einer Buchhandlung in Deutschland in die Hände fiel. Sandra scheint dieses Motto auf Mauritius zu leben.

Für Guy Noel Clarisse ist dieser Satz nicht zutreffend. Er ist Mauritier und verlässt seine Heimat nur ungern: die Küste, von der sich fantastische Ausblicke auf das Meer bieten. Das Meer selber, die Berge, das Vogelgezwitscher. Für Guy ist Mauritius wie Musik. Eine Landschaft, bestehend aus Meer und Bergen, zwei Gegensätzen, die sich hier aufs vortrefflichste begegnen und ergänzen. Dennoch muss er sich nun für zwei Jahre von Mauritius verabschieden.

„Ich verlasse die Insel, weil ich meinen Master in Violine machen will. Eine Musikhochschule gibt es hier nicht, also muss ich wegen meines Studienwunsches raus aus Mauritius.“

Für Guy ist völlig klar, dass er nach seinem Musikstudium in London nach Mauritius zurückkehren wird. Der Schönheit der Insel zuliebe, aber auch, um einen Teil von dem, was er auf dem Festland erlernt hat, an jüngere Generationen weiter zu geben. Guy wohnt in einem Haus in Curepipe, gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern, die der klassischen Musik ebenso verfallen sind wie er. Mark Twain wusste von diesem Ort, im Landesinneren der Insel gelegen, zu berichten, dass er einer der regenreichsten überhaupt auf der Welt ist. Tausende von Kilometern entfernt von den wichtigen Konzertsälen dieser Welt. Selbst Kolofonium für Saiteninstrumente kann man auf Mauritius nicht erwerben. Erst neulich bat uns Guy darum, ihm einem kleinen Vorrat davon aus Deutschland mitzubringen. Weil Guy eine internationale Karriere als Geigenspieler anstrebt, wird er in den kommenden Jahren ein Bein in Europa und eins auf Mauritius haben müssen.

„Mein Traum ist es, die Welt kennenzulernen. Die Welt ist groß!“

Usha Nielsen kennt viele Orte dieser Welt. Als Singhalesin setzt sie eine gut funktionierende Infrastruktur einfach voraus, ebenso Geschäfte, die nicht nur den täglichen Bedarf abdecken, sondern auch größere Wünsche erfüllen. Auf diese Selbstverständlichkeiten, wie sie eine Großstadt bietet, musste sie in den vergangenen drei Jahren verzichten. So lange lebte sie mit ihrem Mann, einem Dänen, und ihren vier Kindern auf Mauritius. Produkte, die Usha sowohl in Singapur als auch in Japan, wo die Familie zwei Jahre lang lebte, mühelos kaufen konnte, fanden sich nicht auf Mauritius. Kosmetika, Kinderschuhe, Kinofilme – all das musste sie aus Heimaturlauben mit auf die Insel bringen. Deshalb sehnte sie den Tag, an dem ihre Familie Mauritius wieder verlassen würde, von Anfang an herbei:

„Ich hatte nie vor, auf Mauritius länger als ein Jahr zu bleiben! Ich wollte die Insel so schnell wie irgendwie möglich wieder verlassen. Vor allem weil die Qualität der Schulen hier nicht besonders gut ist, vor allem nicht für größere Kinder. Für kleinere ist es in Ordnung, aber mir größeren Kindern konnte ich mir nicht vorstellen, hier lange zu bleiben.“

Als ihr Mann Michael davon erzählte, dass sein Arbeitgeber ihm angeboten habe, nach Dubai zu gehen, musste Usha nicht lange überlegen. Nur raus aus dieser insularen Enge! Nichts werde ihr fehlen, wenn sie Mauritius bereits im Juni verlassen werde. Weder die Menschen, noch die Landschaft oder das Meer. Auch Michael fehlte die städtische Vielfalt auf Mauritius, wenn er hier auch mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen konnte.

„Mir wird der Golfplatz sehr fehlen. Die Golfplätze hier sind wunderschön. Und natürlich das Meer und die Landschaft entlang der Küste. Aber das Landesinnere hat nichts Spektakuläres. Solche Dörfer, wie es sie hier gibt, findet man genauso gut in Indien, sie sehen sehr ähnlich aus. Aber die Küste ist toll, man kann hier gut fischen gehen oder mit Kollegen mit dem Boot rausfahren. Das ist fantastisch, das wird mir fehlen. Aber so ist es nun einmal: In Dubai gibt es auch schöne Golfplätze.“

Und so mischt sich für Michael und Usha bei dem Gedanken, Mauritius schon in einigen Wochen verlassen zu müssen, wenig Wehmut. Auch ihre Kinder freuen sich auf den Ortswechsel. Ihr Abschied von der Insel, auf der sie nie richtig angekommen sind, soll deshalb laut und wenig sentimental sein. So hat sich Usha ihre Abreise von Mauritius vom ersten Tag an vorgestellt:

„Das habe ich immer zu Michael gesagt: Wenn wir eines Tages Mauritius wieder verlassen, werden wir das mit einer Riesenparty machen!“

Ihre Freunde, die sie nun auf Mauritius zurücklassen, wird die Familie Nielsen dennoch vermissen. Auch wir haben in den vergangenen Monaten viele nette Menschen kennengelernt: Eine deutsche Familie, die Monate weise auf der Insel ist und von der wir lernten, dass man eine Brotbackmaschine aus Deutschland mit ins Reisegepäck nehmen sollte, wenn man das weiße Mehl der hiesigen Bäckereien nicht mehr sehen kann. Zwei Kanadier, die das sympathischste Restaurant von Grand Baie besaßen, es „esprit libre“ nannten, dieses Motto Tag für Tag lebten, einen herrlichen Oldtimer fuhren und nun Mauritius doch wieder den Rücken kehren. Eine Gaststätte auf der ehemaligen Ile de France zu betreiben, sei ein mühsames Geschäft.

Ähnlich erlebte es der französische Sterne-Koch Alain Ducasse vor einigen Jahren, als er 2008 ein Restaurant in einem Luxushotel eröffnete und kurze Zeit danach wieder schließen musste. Eine mauritisch-schweizer Familie kehrt nach Zürich zurück, weil sie auf Mauritius doch kein neues Geschäft aufbauen konnte. Sie wird uns nicht nur wegen des besten Apfelstrudels, den sie für deutsche Gäste immer gebacken haben, sondern auch wegen ihrer Freundlichkeit fehlen. Und auch wir werden uns in einigen Monaten von Mauritius wieder verabschieden.

Als Mark Twain die Insel damals verließ, hatte er ihre Enge besonders schätzen gelernt. Gerade die Überschaubarkeit ihrer Ausmaße sei das, was Mauritius eine spirituelle Tiefe gebe, schrieb er in seinem Reisebericht. Dadurch wachse Mauritius bis über seine Landesgrenzen hinaus, in das Meer und in die Träume der Reisenden hinein.

Über die Autorin:

Antje All­roggen hat an den Uni­ver­sitäten Bonn und Nancy (Frankre­ich) Kun­st­geschichte, Philoso­phie und Kom­para­tis­tik stu­diert. Seit dem Jahr 2000 arbei­tet sie als Kul­tur– und Reise­jour­nal­istin für diverse ARD-Hörfunkanstalten, vor allem für den Deutsch­land­funk. Jour­nal­is­tis­che Stipen­dien führ­ten sie unter ande­rem nach Marokko und an die Duke Uni­ver­sity in North Car­olina / USA. Mit ihrem Mann und ihren bei­den Töch­tern (zwei und acht Jahre) lebt sie für ein Jahr in Grand Baie/ Mauritius.

Vie­len Dank an Frau All­roggen und den Deutsch­land­funk, die uns erlau­ben, die großar­ti­gen Geschich­ten und Bei­träge für unsere Leser zu veröffentlichen!