Nur wenige Reisende nähern sich der Insel Mauritius auf dem Wasserweg. Vergangene Woche machten drei holländische historische Segelschiffe, seit 2012 unterwegs Richtung Australien, für einige Tage im Hafen von Mauritius Station. Dort erinnerten sie an die Ankunft ihrer Vorfahren vor genau 415 Jahren, beobachtet von Antje Allroggen.

Kurs auf  Mau­ri­tius
Auf den Spuren der holländischen Insel-Entdecker
Von Antje Allroggen

Am 24. Juli 1598 näherten sich acht holländische Segelschiffe auf ihrem Weg nach Indonesien dem Kap der Guten Hoffnung. Jenem Kap, an dem die afrikanische Küste ihren Schwenk nach Osten beginnt und die Passage in den Indischen Ozean anzeigt. Segelschiffe, die das Kap passieren, werden durch die starken Winde immer wieder Richtung Küste gedrückt. Eine gefährliche Durchfahrt. Die holländischen Segelschiffe haben Glück. Doch als sie Kurs auf Madagaskar nehmen, ändert sich das Wetter. Sie geraten in einen Sturm, der zwei Tage und zwei Nächte anhält. Die Wellen toben, die Schiffe schaukeln wie Nussschalen. Apokalyptische Szenen. Irgendwann beruhigt sich das Meer. Als der Himmel wieder aufklart, sind von den acht Segelschiffen nur noch drei übrig. Dann ist plötzlich, ganz unerwartet, Land in Sicht. Eine Insel, die sogar auf den Seekarten eingezeichnet ist. Portugiesen hatten das Eiland knapp 100 Jahre vorher entdeckt. Kaum hatten die Holländer ihren Fuß auf die Insel gesetzt, benannten sie sie nach dem holländischen Prinzen Moritz von Oranien Mauritius und wähnten sich im Paradies, das sie erst 1710 wieder verließen.

415 Jahre später haben sich drei historische Segelschiffe aus Holland auf Spurensuche ihrer Vorfahren begeben. Sie sind an Brasilien und Südafrika vorbeigesegelt und hatten gerade Madagaskar hinter sich gelassen, als wieder das Wetter umschlug, erinnert sich Gijs Sluik, Sohn des Schiffsbesitzers und Kapitän der Tecla.

„Die Winde kamen aus Richtung Durban und trafen uns, als wir gerade an der unteren Seite von Madagaskar segelten. Da hatten wir zu kämpfen. Es wäre etwas anderes, wenn wir zu einer anderen Jahreszeit mit unseren Segelschiffen hier gewesen wären. Wenn hier Zyklon-Saison ist, ist es zu gefährlich, dann würde ich hier nicht lang fahren wollen. Es reicht aus, nur zu einem Prozent in das Auge eines Zyklons zu geraten. Ich denke, Zyklone gehören zu den gefährlichsten Dingen, die sich auf diesem Planeten ereignen können. Also muss man sie vermeiden.“

Um so größer war die Freude, als die „Tecla“ – gemeinsam mit den anderen beiden Schiffen, der „Europa“ und der „Osterschelde“ – vor knapp einer Woche die Küste von Mauritius erreichte. Eigentlich war die „Tecla“ vor knapp 100 Jahren für den Fischfang in der Nordsee als Fracht-Feuerschiff gebaut worden. In den 1930er-Jahren wurde sie dann nach Skandinavien verkauft und vor 30 Jahren generalüberholt. Nun befindet sie sich im Privatbesitz einer niederländischen Familie und ist wieder hochseetauglich. Nach einer Segeltour nach Kanada segelt sie nun zum ersten Mal im Indischen Ozean – der historischen Route der holländischen Seefahrer folgend.

„Wir haben zur Vorbereitung unserer Segeltour einige historische Bücher gelesen. Weil die Holländer die Ersten waren, die Mauritius besiedelten, ist es für uns schon was Besonderes, hier zu sein. Mauritius ist für uns so weit weg. Allerhöchstens eine Destination für Honeymooner. Nichts, um hier mal kurz in die Ferien hinzufahren. Und das Wasser ist so schön blau. Ich hoffe, wir haben in den nächsten Tagen Zeit, mehr von der Insel zu sehen.“

In den Monaten, die Luis van Aken nun schon an Bord der „Tecla“ ist, hat sie allabendlich den Sternenhimmel bestaunt, das Südkreuz gesehen, den Mond, der hier anders herum am Himmel hängt. Mehrmals hat sich Luis nach den weißen Puderstränden von Mauritius gesehnt, den Palmen, der fast durchsichtigen Lagune. Nun ist sie ihrem Traum ganz nahe. Das Schiff steuert zielsicher auf den Hafen von Port Louis zu, der kleinen Hauptstadt der Insel. Noch ist auch die kleine Insel Coin du Mire zu sehen, die ganz im Norden von Mauritius liegt und der Küstenort Baie du Tombeau, die „Grabesbucht“. Hier soll der holländische Gouverneur Pieter Both seinerzeit Schiffbruch erlitten haben, hier wurde er gemeinsam mit seinen Matrosen begraben.
Auch der Hausberg von Port Louis ist gut zu erkennen – er ist nach dem Gouverneur benannt.

Ganz anders blickt Guy, ein älterer Mann mit dunkler Hautfarbe, auf Mauritius, seine Insel, auf der er seit 78 Jahren zu Hause ist. Früher hatte er selber eine kleine Piroge gehabt, erinnert er sich. Doch das ist lange her. Mit den Bootsausflügen hörte er auf, als ihnen der Fisch nicht mehr schmeckte. Langusten gäbe es hier kaum noch, die Lagune sei so gut wie leergefischt. Mauritius habe sich verändert, so wie sich das Leben auf der Insel verändert habe. Nur hier, auf dem Meer, könne man all seine Sorgen ein wenig vergessen.

„Lunch is ready and the bread is made by the capt’n himself, enjoy that one, there is a curry rice and couscous, so enjoy …“

Dann werden die Erinnerungen an eine schönere vergangene Zeit von einer strahlend weißen, mit bunten Blumen bestickten Tischdecke überblendet. Jet Sluik, Schwester des Kapitäns und First Maid an Bord, hat trotz frischer Brise einen Platz an Bord gefunden, um das Mittagessen anzurichten: In einem Korb Brot – vom Kapitän selber gebacken. Daneben aufgeschnittene Granatäpfel, Trauben, Papayas. Als wir mit dem Essen fertig sind, sehen wir am Horizont die „Europa“ segeln. Sie scheint sich komplett mit ihrer Backbordseite an die Wellen des Indischen Ozeans geschmiegt zu haben.

Wir könnten noch ewig so weitersegeln, wieso sollen wir dieses wunderbare Schiff eigentlich wieder verlassen? Dann klingelt plötzlich das schwarze Schiffs-Telefon. Kapitän Sluik nimmt den schwarzen Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung spricht der Hafenmeister von Port Louis.

Über unsere Gedanken und Gespräche hätten wir beinahe vergessen, dass ein offizieller Empfang der Segelschiffe im Hafen von Port Louis auf uns wartet. Schnell richten wir die Segel und nehmen Kurs auf den Hafen. Dort begrüßen uns zwei Feuerlöscher mit Wasserfontänen.

Die anderen beiden Segelschiffe, die „Europa“, und die „Osterschelde“, sind früher als wir da. Als wir endlich geankert haben, müssen wir beim Aussteigen beide Schiffe durchqueren. Den mauritischen Premierminister sehen wir nicht mehr – dafür empfängt uns eine kleine Delegation der Inselarmee in Uniform zum Zapfenstreich mit Blasmusik und Dudelsack. Wenn holländische Segelschiffe Mauritius besuchen, handelt es sich eben immer auch um eine wichtige außenpolitische Angelegenheit.

Über die Autorin:

Antje All­roggen hat an den Uni­ver­sitäten Bonn und Nancy (Frankre­ich) Kun­st­geschichte, Philoso­phie und Kom­para­tis­tik stu­diert. Seit dem Jahr 2000 arbei­tet sie als Kul­tur– und Reise­jour­nal­istin für diverse ARD-Hörfunkanstalten, vor allem für den Deutsch­land­funk. Jour­nal­is­tis­che Stipen­dien führ­ten sie unter ande­rem nach Marokko und an die Duke Uni­ver­sity in North Car­olina / USA. Mit ihrem Mann und ihren bei­den Töch­tern (zwei und acht Jahre) lebt sie für ein Jahr in Grand Baie/ Mau­ri­tius. Vie­len Dank an Frau All­roggen und den Deutsch­land­funk, die uns erlau­ben, die großar­ti­gen Geschich­ten und Bei­träge für unsere Leser zu veröffentlichen!